Der (vermeintliche) Ratschlag mit dem „Dicken Fell“
Sehr wahrscheinlich ist auch Ihnen schon einmal diese eine Aussage begegnet:
„Du musst Dir ein dickes Fell zulegen!“
Wir alle haben diesen Satz vermutlich mindestens einmal in unserem Leben zu hören bekommen oder ihn an jemanden herangetragen. Aber wie viel Sinn ergibt dieser gut gemeinte Ratschlag tatsächlich für den Empfänger?
Vor ein paar Wochen habe ich meine EC-Karte verloren. Vielleicht können Sie sich auch schon vorstellen, wann ich das bemerkte? Richtig, an der Kasse. Ganz vorne. Nachdem jeder einzelne Artikel bereits übers Band ging. Nein, Bargeld hatte ich keins dabei: Wir üben schließlich aktuell Bargeld-kontaktlos bezahlen. Was passierte als Nächstes? Ich wurde freundlich aufgefordert, die Kühl- und Tiefkühlkost zurück an ihr Plätzchen zu bringen. Quasi rückwärts Einkaufen.
(Währenddessen meldete sich eine innere Stimme: „Schultern zurück, Brust raus, Kinn hoch!“… Viel mehr war ich jedoch mit dem Wunsch nach einem Augen-Augenbrauen- statt Mund-Nasen-Schutz beschäftigt). Dennoch: Es musste etwas Essbares her und so wartete ich auf meine Rettung.
Und während ich so wartete, meldete sich wieder eine Stimme „Hey alles halb so wild…“, gefolgt von einer anderen Stimme im Wimmer-Trotz-Modus: „Das ist jetzt aber auch `ne sau blöde Situation – der Tag war sowieso nicht unsere Best-Leistung, das jetzt nicht auch noch…“- und die nächste Stimme: „Dein Ernst? Du stellst Dich aber auch dran…“
Kennen Sie diese „Stimmen“? Auch der „Fell-Aussage“ wohnen verschiedene Varianten inne:
„Du darfst das nicht so an Dich ranlassen.“, „Versuch es nicht persönlich zu nehmen.“, „Du musst die Emotionen beiseitelassen.“ „Du solltest da härter werden“, „Schütz Dich!“
Schnell gesagt… oder gedacht… Aber was ist der Kern dieser Aussagen?
„Dein Verhalten ist gerade suboptimal.“
Und das übersetzt eine unserer Stimmen – nennen wir sie mal den „inneren Kritiker“ – dann gerne mal liebevoll zusammengefasst so: „DU bist NICHT GENUG.“
Oh. Und schwupps ist unser Unterbewusstsein in Wallungen.
Denn wir hören solche Sätze nicht zum ersten Mal – sie prägen uns. Und unsere Prägung bringt alles Weitere ins Rollen: Unsere Wahrnehmung, Gedanken und Emotionen und letztlich unser Verhalten.
… Sie ist somit der Ursprung des klassischen „Überreagierens“.
Aber lassen Sie uns den inneren Kritiker mal links liegen und stattdessen überlegen, wann uns solche Sätze entgegenfliegen bzw. wir sie anderen entgegenfliegen lassen.
Oder anders gefragt: Was ist da bei dem mit dem „dünnen Fell“ los, was den Anderen dazu veranlasst, das „Fell-Defizit“ zur Sprache zu bringen? Und was passiert dadurch?
Hier mal ein paar Überlegungen.
(Der Einfachheit halber wird im Folgenden die männliche Form verwendet. Von der Interpretation geschlechtsspezifischer Verhaltensweisen distanziere ich mich. Ob es uns passt oder nicht: Es betrifft uns alle 😊)
So. Wie denken Sie darüber? Welche Hypothesen stellen Sie auf? Und was machen wir daraus?
Ich frage mich, wie oft am Tag wir es versäumen, unseren Mitmenschen konkrete, für sie verständliche Informationen zu geben – unter Beachtung der jeweiligen Persönlichkeit und des gegenwärtigen Kontextes – und wie häufig wir vergessen, uns solche einzufordern.
Vielleicht fangen wir im ersten Schritt einfach mal damit an, sowohl das dünne als auch das dicke Fell tatsächlich zu würdigen.
Das kann z. B. dadurch funktionieren, dass wir unser Gegenüber mit dem dicken Fell die Äußerung detaillierter beschreiben lassen: „Wie meinst Du das genau? Hast Du da einen konkreten Tipp für mich?“
Beziehungsweise bei drohendem „Fell-Verlust“ bei unserem Gegenüber, die Lösung gemeinsam zu finden: „Was könnte Dir dabei helfen, beim nächsten Mal mehr für Dich einzustehen, bei der Sache oder bei Dir bleiben zu können? Wann hat das schon mal gut funktioniert?“
Mein persönliches Zwischen-Fazit zum „Fell-Konflikt“ lautet:
Abschließend zurück zum Karten-Verlust-Drama:
Als ich meine Rettung dann endlich erblickte, in Form meines als Beduine verkleideten Freundes (er hatte `ne EC-Karte, aber anstatt einer Maske nur einen Winterschal im Auto), stellte ich fest, wo mein Unterbewusstsein mich hatte die vergangenen Minuten warten lassen:
Ich stand bei den Kinder-Schlafsäcken.
Und ja: SO ergibt es Sinn für mich mit dem Fell – manchmal suchen und brauchen wir ein bisschen Schutz (Bei mir war es wohl der unbewusste, dringende Wunsch mich in einem Schlafsack zu verkriechen). Leider verwehren wir uns jedoch beim Überwerfen eines Fells den tatsächlichen Lösungsansatz, der uns handlungsfähig, agil und selbstwirksam sein und bleiben lässt:
Das Aktivieren und Nutzen unserer eigenen inneren Ressourcen.
Die tragen wir nämlich tatsächlich. In uns. Und die dürfen wir sehr gerne öfter entdecken und für uns und andere sichtbar werden lassen. Seien Sie also bitte gut zu sich: Finden Sie Ihre persönlichen, inneren positiven Unterstützer! Gerne können wir uns gemeinsam auf die Suche machen. J
Catarina Zimmermann, Trainerin von der SUMMACOM AKADEMIE